
In allen Kulturen steht die Begrüßung am Anfang einer Begegnung. Jeder Kulturkreis besitzt dabei seine eigenen Rituale. Im privaten Rahmen – zum Beispiel bei einem Abendessen mit Freunden – ist es üblich, die Gäste zu begrüßen. Der Gastgeber nimmt sich Zeit, mit jeder Person in Kontakt zu kommen und den gemeinsamen Abend zu eröffnen. Doch wie sieht es in Ihrem Arbeitsalltag aus, bei Ihren Besprechungen und Events?
Und ist es im beruflichen Kontext überhaupt wichtig, von der knapp bemessenen Zeit mehr in eine Begrüßung zu investieren?
Vielleicht ist Ihnen folgende Situation bekannt, die ich selbst als Teilnehmer oft erlebt habe. Die letzten Minuten eines Meetings sind angebrochen und alle Anwesenden ringen noch um den finalen Punkt der Agenda. Tatsächlich gelingt uns die Klärung des Themas und wir fassen einen Beschluss. Punktlandung! Die angesetzten 60 Minuten sind vorbei und alle verlassen den Raum. Auch ich packe meine Sachen und eile ins nächste Meeting, das sofort im Anschluss beginnt. Glücklicherweise befindet sich das Besprechungszimmer am Ende des Flurs und nicht im Nachbargebäude.
Mit einer Minute Verspätung nehme ich Platz und blicke in die Runde, um mir einen Überblick über die Teilnehmer zu verschaffen. Der Moderator begrüßt uns kurz mit einem „Hallo“ und wechselt anschließend zum ersten Punkt der Agenda. Schließlich gibt es keine Zeit zu verlieren, da die Aufgaben zahlreich sind und die Zeit begrenzt ist.
Ich merke, dass ich nur teilweise folgen kann. Manche Gedanken hängen noch am letzten Beschluss des vorangegangenen Meetings. War unser Entscheidung gut? Hätten wir ohne Zeitdruck eine andere getroffen? Egal – jetzt steht etwas anderes an. Meine Aufmerksamkeit und meine Expertise sind nun hier gefragt. Ein weiterer Blick in die Runde verrät mir, dass ich nicht der einzige im Raum bin, dessen Gedanken abschweifen. Ich versuche meine Überlegungen zu parken und konzentriere mich auf das aktuelle Gespräch. Gleichzeitig realisiere ich in den nächsten Minuten, dass ich noch immer beim Ankommen bin – sowohl im Thema als auch in der Gruppe.
Wenn ich acht Stunden Zeit hätte, einen Baum zu fällen, würde ich sechs Stunden die Axt schleifen.
Abraham Lincoln
Heute irritiert mich so ein Start. Ich habe den Wunsch, erst mit den anderen Teilnehmern erst in Kontakt zu kommen, um anschließend gemeinsam den Fokus auf die anstehenden Themen zu richten. Dann bin ich voll arbeitsfähig und kann mich bestmöglich einbringen.
Begrüßung ist mehr als nur eine Floskel
In meinen eigenen Besprechungen nutze ich die ersten Minuten zur Entschleunigung und nehme mir Zeit für die Begrüßung. Damit ermögliche ich den Teilnehmern anzukommen und gegebenenfalls den Raum zu lüften. Durch meine Begrüßung drücke ich außerdem meine Wertschätzung für die Anwesenden aus. Sie enthält immer Worte des Dankes, die wie ein Verstärker wirken und eine kurze Phase der Kontemplation anbieten.
Ich danke den Anwesenden für ihre Zeit und ihren Einsatz und lenke den Blick auf bereits erzielte Erfolge. Ich danke auch den unsichtbaren Händen, wie dem Reinigungspersonal und den Menschen am Empfang. All diese tragen ebenso zum Erfolg einer Unternehmung bei und werden gerne übersehen oder als selbstverständlich hingenommen. Wenn es draußen regnet, danke ich dem Regen, der unsere Wasserspeicher füllt und Leben auf dieser Erde erst ermöglicht. Manchmal danke ich auch dem scheinbar Banalen wie unserer Technik, einer gut funktionierenden Heizung oder meinem Smartphone, weil sie mein Leben angenehm unterstützen.
Meine Intention dieser ersten Minuten ist, ein gemeinsames Feld für die Veranstaltung aufzubauen und die Aufmerksamkeit bewusst auf andere Themen zu lenken. In manchen Situationen danken Teilnehmer auch mit ihren eigenen Worten und stärken so das Feld weiter.
Positives wächst, wenn ich ihm Beachtung schenke
Damit lege ich den Grundstein für eine konstruktive Zusammenarbeit und ein erfolgreiches Meeting. Der nächste Schritt, um dieses Feld zu stärken, ist der Check-in, der ausführlich im Beitrag „Kreiskultur – Begegnung auf Augenhöhe“ beschrieben wird. Ebenso könnte Sie der Artikel „Facilitation oder die neue Meeting-Kultur“ interessieren, der in Kürze hier erscheint.
Wie ausführlich eine Begrüßung ist, hängt entscheidend von der Situation und vom gesamten Zeitrahmen ab. Gestalten Sie die Begrüßung so lebendig wie möglich und wählen Sie die Worte, die Ihnen gerade einfallen. Es gibt hier kein richtig oder falsch. Für mich ist diese Form der Begrüßung ein Weg, den Raum für Kooperation und gemeinschaftliche Entwicklung zu öffnen.
Als ich vor Jahren begann, meine Trainings so zu starten, war ich zunächst unsicher: Wie würden die Teilnehmer wohl darauf reagieren? Zu meiner Überraschung und Freude erhielt ich sehr viel positives Feedback. Die Menschen nehmen die Entschleunigung und den Dank gerne an.